16 Nov

Alle Jahre wieder: Grünkohl!

„Sie wollen Drillinge von mir?“ Maria lacht. Sie hat die Achtzig überschritten. Und steht samstags auf dem Wochenmarkt in der Großen Bergstraße in Hamburg-Altona – am Stand der Familie Gonschorowski aus den Vier- und Marschlanden. An diesem Stand stehen mindestens zwanzig Kunden geduldig im Novembernebel. Maria wiegt kleine Kartoffeln (Drillinge) ab, tütet Grünkohl ein und wundert sich darüber, dass manche Birnen in den Grünkohl tun, andere Smoothies daraus machen. In Hamburg und in Schleswig-Holstein gibt es zur Grünkohlplatte Bauchspeck, Kohlwurst und Kasseler – und „süße Kartoffeln“, die in Schmalz und Zucker gebraten sind.

Der Grünkohl soll ursprünglich im Mittelmeerraum zu Hause gewesen sein, ist aber inzwischen fest in norddeutscher Hand. Nach alter Köchinnenweisheit soll er vor der Ernte einmal Frost bekommen haben, der seine Stärke in Zucker verwandelt hat und den Gerichten die richtige Süße gibt.

Darin ist man sich in den Küstenländern einig, nicht aber über die Zubereitung des Kohls – jede Region schwört auf ihre Version, vor allem bei den Beilagen. Für den Bremer ist der Pinkel unverzichtbar. Im Bremisch-Niedersächsischen Wörterbuch findet man die Erklärung: Die Wursthaut stammt vom Mastdarm, der auch Pinkeldarm genannt wird. Die geräucherte Wurst besteht aus Speck, Bauchfleisch, Zwiebeln und Gewürzen und roher Hafergrütze. Der Grünkohl heißt bei den Bremern Braunkohl, weil in einigen Gegenden früher anstelle des heute üblichen Grünkohls der ähnliche, aber etwas bräunliche Langkohl (auch Krauskohl oder Winterkohl) angebaut wurde. Der Hannoveraner besteht auf Brägenwurst (ursprünglich aus Schweinefleisch mit einem Anteil von Hirn) und kocht auch gerne Birnen in seinem Grünkohl mit, wodurch das Gemüse etwas lieblicher wird. Auch die Ostfriesen haben ihren Eigensinn, sie essen zum Grünkohl Mettwurst.

In Holstein holt man für sechs Personen drei Kilogramm Grünkohl, wäscht ihn, lässt ihn abtropfen, schneidet ihn in Streifen und blanchiert ihn in reichlich Salzwasser, lässt ihn abtropfen und hackt ihn klein. Das braucht seine Zeit. Man dünstet ein halbes Pfund Zwiebeln in Schweineschmalz, wendet den Grünkohl darin, würzt mit Salz, begießt mit einem Liter Wasser und lässt das Ganze bis zu zwei Stunden bei milder Hitze schmoren. In der letzten Stunde gart man 600 Gramm Schweinebacke und 600 Gramm Kasseler mit Knochen mit, in der letzten halben Stunde sechs Kochwürste. Inzwischen wird ein Kilogramm sehr kleine Kartoffeln (Drillinge) gekocht, abgegossen, gepellt – auch das dauert seine Zeit. Man lässt die Drillinge nebeneinander liegend kalt werden. Sie müssen gut abdampfen können, und die Oberfläche muss ganz trocken sein. Man erhitzt Butterschmalz oder Schweineschmalz in zwei großen Pfannen, brät die Kartoffeln unter häufigem Rütteln darin rundum goldbraun, salzt sie, bestreut sie mit Zucker und karamelisiert sie leicht. Das Fleisch wird in Scheiben geschnitten und mit den Würsten auf dem Kohl angerichtet.

Viele Bayern und Württemberger, Badener und Hessen lehnen Grünkohlgerichte schlichtweg ab – es sei denn, der US-amerikanische Trend, aus dem vitaminreichen Gemüse einen grünen Saft zu pressen – einen Smoothie – hat dort schon Fuß gefasst. Für Veganer ist Grünkohl, genau wie für Fleischesser, ein unglaublich gesundes Gemüse. Und soll mit seiner einmaligen Nährstoffzusammensetzung aus antioxidativ wirkenden Vitaminen, Mineralstoffen, Ballaststoffen, Aminosäuren und sekundären Pflanzenstoffen eine ausgewogene und gesundheitsfördernde Alternative zu tierischem Eiweiß sein.

blog_gruenkohl3

Fotos: Marlene Stadie

Brassica oleracea wird im Norden oft Oldenburger Palme genannt.

Am 21. Februar wird auf den nordfriesischen Inseln der Winter verbrannt. Alter heidnischer Brauch oder Abschied für die Walfänger? Der Ursprung des Biikefeuers ist unklar. Danach setzt man sich auf jeden Fall zu einem fetten Grünkohlessen zusammen. Wenn man nicht von Einheimischen eingeladen wird, muss man rechtzeitig reservieren. In einer alten Inschrift heißt es: „Der liebe Gott erschuf den Winter und den Grünkohl als Mittel dagegen“.