03 Dez

Freiräume für alte und neue Träume – Warum Leipzig so fetzig ist

Der karierte Koffer war in Leizig. Dort gibt schon der Bahnhof Raum – und Schließfach fürs Lieblingsgepäck.neujahr1-013

Seine Reisende hat dann erkundet, was Leipzig so fetzig macht: Es sind die Freiräume, die hier nicht nationalen und internationalen Investoren zugefallen sind, sondern lokalen Innovatoren. Nehmen wir mal die Alte Spinnerei: Karoline Mueller-Stahl berichtet auf der Website des Großprojektes: “Am Beginn stand die Vision einiger mutiger Industrieller. Der Bedarf an Baumwolle war im 19. Jahrhundert weltweit rasant angestiegen. In Deutschland waren Baumwollgarne zuvor traditionell vor allem aus England und der Schweiz importiert worden, Rohware wurde seinerzeit zumeist aus den Vereinigten Staaten aber auch aus Ägypten bezogen. Ein Abflauen des Bedarfs war nicht in Sicht, eher im Gegenteil. Die Löhne in Deutschland waren niedrig, die Arbeitszeiten länger als in Großbritannien, Einfuhrzölle für gröbere Garne waren hoch. Es war ein günstiger Zeitpunkt für die Vision, eine der größten Spinnereien Europas zu bauen.

Die Spinnerei war in jeder Hinsicht ein Ort der Moderne. 1894 etwa wurde eine Spinnereischule eingerichtet,…Kurz vor der Jahrhundertwende wurde eine Badeanstalt gebaut, neue Arbeiterhäuser entstanden, ein Kindergarten wurde ebenso eingerichtet wie ein Park mit Turnhalle für Eltern und Kinder. Musikkapellen, Tanzgruppen, Männerchöre waren Teil des betrieblichen Lebens. Das Areal war eine Stadt in der Stadt geworden mit Wohnungen, Schrebergartensiedlung, Kindergarten, Ärzten. Außerhalb des Geländes, aber in seiner unmittelbaren Nähe, waren Geschäfte und Lokale entstanden… Für die harte Fabrikarbeit mussten nicht nur viele, sondern noch dazu besonders kompetente Leute gefunden werden. Man holte sie aus den klassischen europäischen Textilorten in Sachsen, Bayern, dem Erzgebirge, Württemberg, aus Polen und Tschechien, aus Österreich und der Schweiz. Ein vielsprachiges Völkergemisch mit all seiner Energie, die Chronik der Spinnerei berichtet aber auch von den Konflikten und Raufereien…” Und als der Kampf um die Herabsetzung der täglichen Arbeitszeit auf zehn Stunden begann, sprach etwa Karl Liebknecht am 12. Februar 1905 im Felsenkeller im benachbarten Plagwitz vor über 2.500 Arbeitern. Doch waren die sozialen Kämpfe nicht das Ende des Booms. Nach nur 25 Jahren hatte sich die Leipziger Baumwollspinnerei zur größten Spinnerei des Kontinents entwickelt, in der 240.000 Spindeln, 20.000 Zwirnspindeln und 208 Kämmmaschinen rotierten.

Die kleine Fabrikstadt hat etwa sechs Hektar Größe. Fast alle Gebäude wurden als sehr massive Backsteinbauten errichtet. Die Bruttogeschossfläche des Areals beträgt rund 100.000 qm. Darin befinden sich heute hundert Künstlerateliers, elf Galerien, Werkstätten, Architekten, Designer, Schmuck- und Modemacher, der Künstlerbedarf «boesner», die Theaterspielstätte «Residenz», ein internationales Tanz- und Choreografiezentrum, Druckereien, das Künstlerbuch «Lubok», das Kino «LuRu» sowie, nicht zuletzt, die gemeinnützige HALLE 14 und viele andere: Aus der ehemaligen Fabrikstadt wurde am Beginn des 21. Jahrhundert eine der interessantesten Produktions- und Ausstellungsstätten für zeitgenössische Kunst und Kultur in Europa.

“Was seit den frühen 1990er Jahren in der Spinnerei entstanden ist, seit sich die ersten Künstler hier Ateliers einrichteten, war nicht nur das Ergebnis aktiver Planungen”, ist auf der Website zu lesen. “Mut, großes Interesse an der Kunst und Experimentierfreude Vieler und seit 2001 auch eine Verwaltungsgesellschaft und Geschäftsführung, die die Initiativen förderte und mit Bedacht nachhaltige Entscheidungen über den allmählichen Aus- und Umbau der Gebäude traf, trugen dazu bei, dass die Spinnerei zu dem wurde, was sie heute ist.” Die Besitzerin des karierten Koffers begegnet einer Gruppe von tonbekleckerten Menschen, die den Raum nutzen, um auf eine ganz spezielle Weise glasierte Töpfereien in eiskaltes Wasser zu werfen. Sie nimmt getöpferte Kräuterschilder und jede Menge Inspirationen mit nach Hamburg. Und sie dankt den Mutigen aller Jahrhunderte!