29 Dez

Mal wieder ein Räucherstäbchen anzünden? Wohlgeruch und Wohlbefinden

Für Räucherstäbchen wären die sogenannten Raunächte bis zum 6. Januar eine gute Gelegenheit. Rau kommt von Rauch und bezieht sich auf den Brauch, in dieser Zeit mit verschiedenen Harzen und Kräutern zu räuchern. Damit lassen sich unter anderem böse Geister vertreiben, von denen es in den zwölf Nächten zwischen Heiligabend und Dreikönigstag geradezu wimmeln soll. Rationaler ist folgende Erklärung für die besondere Zeit „zwischen den Jahren: Als man vom Mondkalender abkam – ein Mondjahr dauerte 354 Tage – und sich an der Sonne ausrichtete, hängte man an das Mondjahr zwölf Tage dran – und sah diese Zeitspanne als etwas Besonderes an. Nach altem europäischem Brauch wurde das Haus in dieser Zeit von Überkommenem und Vergangenem des fast vergangenen Jahres gereinigt und so auf die Ankunft des neuen Jahres vorbereitet. Diese Zeit war früher unter anderem dem Müßiggang und der Reinigung mittels Räucherwerk gewidmet.
Zum Räuchern in den Raunächten dienen – in manchen ländlichen Gegenden bis heute – Pflanzen aus dem sogenannten heiligen Kräuterbüschel, dessen Ursprung bis in heidnische Zeiten zurückverfolgt werden kann. Je nach Region ist die Zahl der Kräuter unterschiedlich, mal sind es sieben, mal neun, achtzehn, siebenundsiebzig oder gar neunundneunzig. Minze, Kamille, Johanniskraut, Salbei, Wermut, Spitzwegerich und Arnika sind immer dabei. Das ist übrigens auch eine gute Gelegenheit, abgelaufene Kräutertees einer duftenden Verwendung zuzuführen. Wer die gerade nicht zur Hand hat, greift eben zum Räucherstäbchen…
Zum traditionellen Räuchern braucht man außer den Räucherstoffen, zum Beispiel oben genannten, getrockneten Kräutern, ein Räuchergefäß, selbstentzündliche Räucherkohle, Sand oder Asche, einen Mörser, eine Feder, eine Pinzette und einen Weihrauchlöffel. Als Räuchergefäß eignen sich Schalen aus Ton, Porzellan, Steinzeug oder Keramik, die man am besten im Fachhandel kauft, damit sie beim Erhitzen keine Schadstoffe freisetzen. Gefäße aus Metall sind mit Vorsicht zu benutzen, man verbrennt sich leicht. Achtung: Glasaschenbecher oder andere Glasgefäße eignen sich nicht! Die Räucherkohle wird bis zu 600 Grad heiß, bei dieser Temperatur zerspringen sie in tausend Stücke. Das Gefäß sollte nicht kippen, einen Henkel oder einen Fuß haben, damit man es gefahrlos herumtragen kann und mindestens zehn Zentimeter Durchmesser haben, damit man es mit einer ausreichenden Menge Sand füllen kann.
Zum Räuchern hält man die selbstentzündliche Kohle mit einer Pinzette über eine Flamme bis sie anfängt zu funken und zu knistern. Dann hält man sie über das Räuchergefäß, wartet, bis sich das Funken über das gesamte Kohlestück ausgebreitet hat und legt es dann auf den Sand. Wenn die Kohle soweit durchgeglüht ist, dass die Oberfläche weiß geworden ist, gibt man etwas Räucherwerk auf die Kohle. Aber welches?
Das hängt von der gewünschten Wirkung ab. Für das Reinigungsritual „zwischen den Jahren“ eignen sich besonders gut Salbei, Rosmarin, Wacholderbeeren, Weihrauch, Gewürznelke und Lavendel.
Aus dem Mittelmeerraum stammt der echte Salbei (Salvia officinalis), sein Duft ist sehr aromatisch und kraftvoll, beim Räuchern soll er intensiv reinigend, aufbauend und heilsam wirken und neue Kraft schenken. Der weiße Salbei (White Sage) stammt aus Nordamerika, duftet klar, stark, aromatisch und herb-frisch und eignet sich – auch nach altem indianischen Brauch – unter anderem für Reinigungsräucherungen. Ebenfalls aus dem Mittelmeerraum stammt der Rosmarin (Rosmarinus officinalis), sein würziger Duft wird mit „grün“ beschrieben, erfrischt und soll bei der typischen „Jahresenderschöpfung“ aufbauend wirken.

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Wacholderbeeren (Juniperus communis) könnte man in Norddeutschland vor der Haustür sammeln – nur nicht im Naturschutzgebiet. Ihr aromatisch-fruchtiger Duft soll stark reinigend und auch anregend wirken, passt also gut zum letzten Abend des Jahres.

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Auch die heiligen drei Könige aus dem Nahen Osten, dem Morgenland, brachten Räucherstoffe: Weihrauch und Myrrhe. In der Antike war Weihrauch ein hochbezahltes und begehrtes Handelsgut und wurde auf der Weihrauchstraße (Oman-Jemen-Hedschas-Gaza-Damaskus) und im Fernhandel bis in fast alle Gegenden der alten Welt gehandelt. Der Ursprung des Weihrauchs wurde geheim gehalten und die Handelswege überwacht. Weihrauch gehört zu den Harzen, die seit alters her in aller Welt fürs Räuchern verwendet werden. Erste Hinweise auf die Verwendung von Weihrauch finden sich in dreieinhalbtausend Jahre alten Texten aus dem Niltal. Die Ägypter nutzten Weihrauch für den guten Geruch der Luft, für Salben und zur Wundbehandlung. Vor dreitausend Jahren gab es bereits feste Handelswege, die Weihrauchstraßen, die das kostbare Harz einerseits aus Somalia und Äthiopien, andererseits aus Indien und den Ländern am Roten Meer nach Ägypten und Mesopotamien brachten. Auch das spätere römische Imperium war ein großer Abnehmer von Weihrauch. Hippokrates und andere griechisch-römische Ärzte setzten Weihrauch zur Wundreinigung, gegen Krankheiten der Atemwege und bei Verdauungsproblemen ein. Über die Wirkungsmechanismen war nichts bekannt, aber die praktischen Erfolge waren wohl zahlreich genug, dass das teure Mittel auch noch im Mittelalter als Medizin eingesetzt wurde, so auch von Hildegard von Bingen.
Der deutsche Name stammt laut Wikipedia von althochdeutsch wîhrouch, heiliges Räucherwerk‘, zu wîhen, heiligen, weihen‘). Weihrauchharz wird durch Anschneiden von Stamm und Ästen des Weihrauchbaumes gewonnen. Die Weihrauchbäume sind in ihrem Bestand stark bedroht. Ihr begehrtes Harz besteht aus einem Gemisch aus ätherischen Ölen, Harzen, Schleim und Proteinen, deren Mengen artabhängig schwanken. Der Anteil an reinem Harz beträgt etwa 50 bis 70 Prozent. Weihrauch war schon bei den alten Ägyptern für kultische Zwecke, bei der Mumifizierung herausragender und vermögender Personen und zumindest in begüterteren Kreisen im Alltag als aromatisches, desinfizierendes und entzündungshemmendes Räucher- und Heilmittel in Gebrauch. Viele andere antike Religionen und der orientalische und römische Herrscherkult kannten den Weihrauch. In der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche wird der Räucherstoff seit Mitte des ersten Jahrtausends bis heute bei verwendet. Auch die moderne Medizin interessiert sich für Weihrauch zum Einsatz. Klinische Studienergebnisse lassen eine Wirksamkeit von Weihrauchpräparaten chronisch entzündliche Erkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa vermuten (Quelle: Wikipedia). Olibanum zeichnet sich durch einen balsamisch-würzigen, leicht zitronigen, schweren, süßlichen Duft mit leicht koniferigen und kienigen Untertönen aus. Der Rauch soll für Klarheit, Reinigung, Andacht sorgen, die Lern- und Gedächtnisleistung steigern, bewusstseinserweiternd und transformativ wirken, also verwandeln. Vielleicht ist das der Stoff, mit dem sich gute Vorsätze umsetzen lassen?
Die aus Asien stammende Gewürznelke haben aufmerksame Leser schon im Lebkuchenblog entdeckt. Ihr Rauch riecht fein, würzig, aromatisch und intensiv. Das Räuchern mit Gewürznelke soll beim Loslassen helfen und Glück bringen, passt also hervorragend zur Jahresendzeit.

Nelken

Lavendel kommt ursprünglich aus dem Mittelmeerraum, hat eine intensive, aromatisch-blumige Duftnote und soll bei Reinigungsräucherungen eine klare, reine, friedvolle, sanfte Atmosphäre schaffen – ein bisschen von dem Frieden, den wir brauchen. Irgendwo muss man ja anfangen…

Wie kommt es zu diesen märchenhaften Wirkungen? Dafür ist unser entwicklungsgeschichtlich ältester Sinn verantwortlich, der Geruchssinn. Er wirkt als „Kontrollstation“ für die Luft am Anfang der Atemwege. Seine Sinnesrezeptoren, auch Sensoren oder „Messfühler“ genannt sind Chemorezeptoren, sie reagieren auf bestimmte Geschmacks- oder Geruchsstoffe.

Riechen29_12_15Bestimmte Geruchsmoleküle passen nach dem „Schlüssel-Schloss-Prinzip“ nur in bestimmte Rezeptoren. So Mit unserem olfaktorischen System, das für die Wahrnehmung von Gerüchen zuständig ist, können wir mehr als 10.000 Gerüche unterscheiden. Ohne den Geruchssinn gebe es auch keine Feinschmecker, wir würden wenig mehr als süß, salzig, bitter und sauer schmecken. Das olfaktorische System, zuständig für die Wahrnehmung vpon Gerüchen, leitet die Impulse über das Riechhirn (Rhinenzephalon) ins limbische System des Gehirns weiter geleitet. Das limbische System umgibt den Hirnstamm wie ein Saum (limbus) und steuert unsere Triebe, Instinkte, Motorik, sowie den Verdauungsapparat, beeinflusst die Hormonausschüttung und unser Stressverhalten. Es hat zentrale Bedeutung bei der Entstehung von Gefühlen und Trieben (Beispielsweise Furcht, Wut, sexuelle Wünsche) und für das Gedächtnis. Wie schon Marcel Proust in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ an Hand der „Madeleine“ beschreibt, eines kleinen Kuchens, dessen Geschmack ihm die Fülle seiner Kindheitserlebnisse mit allen Bildern, Klängen, Geschmäckern und Gerüchen wieder vergegenwärtig. Ein bestimmter Geruch ruft Menschen, Orte und Situationen mit einem Schlag in allen Details wieder ins Gedächtnis. Und Gerüche haben unmittelbare Auswirkungen auf unser Gefühlsleben – und auch auf unser Handeln, beispielsweise die Partnerwahl oder den Kaufrausch, in den künstliche Aromen und synthetische Duftstoffe versetzen können.

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Limbisches System

Je „zivilisierter“ der Mensch wurde, desto mehr entwickelte sich im Zuge der Evolution der Riechsinn zurück und der Sehsinn bekam den Vorrang, denn anders als bei unseren Urahnen hängt unser Überleben immer weniger davon ab, mit feiner Nase schädliche von bekömmlichen Speisen, ungefährliche von bedrohlichen Tieren zu unterscheiden. Der älteste Sinn spielt also eine untergeordnete Rolle im Zeitalter der Bilder. Vielleicht also doch mal wieder ein Räucherstäbchen anzünden? Sich an die Hippiezeit erinnern? Zur Jahreswende wünsche ich Wohlgeruch und Wohlbefinden!
Literatur und Links:
Anja Schmidt und Franz X.J. Huber: Das große Buch vom Räuchern

Anja Schmidt: Räucherrituale für sinnliches Wohlbefinden

Vera Griebert-Schröder und Franziska Muri: Vom Zauber der Rauhnächte – Weissagungen, Bräuche und Rituale für die Zeit zwischen den Jahren

Charla Devereux: Aromatherapie – Die heilenden Düfte

Nicole Menche (Hrsg.): Biologie, Anatomie, Physiologie