06 Jan

Man glowt nich wat man verdroage kann – Von der Kunst eine Linsensuppe zu kochen

Den Dreikönigstag mit Hülsenfrüchten begonnen, mit Linsen. Die gehören unbedingt zu den guten Gaben. Wen bringen sie zum Grinsen? Mich schon. Inzwischen. Meine Mutter – ostpreußischer Abstammung – hatte Wissen, Können und glückliche Hand, um Zutaten eines Eintopfes aufeinander abszustimmen und schmackhaft zu würzen. Aus dem fernen Ostpreußen kommt übrigens auch der Spruch: “Bequem gesäte on langsam gegäte – man glowt nich wat man verdroage kann”. Das ist also die reine Anti-Food-to-go-Lehre. Und ich mochte Mutties elegante hamburgisch-baltische Kreationen – bis auf die Linsensuppe.

Das änderte sich, als ich, bis dahin völlig unberührt vom Know-how der Hauswirtschaftsmeisterin-Großmutter gleich nach der Schule in einer Schweizer Hotelküche stand, das Team leiten und Anhänger von Maharishi Mahesch Yogi aus aller Welt vegetarisch bekochen sollte. Was soll man machen? Man muss an den Grundsatz der Oma denken, die bei selbstbewusstseinsschädigenden Ideen sagte: “Das darfst du noch nicht mal denken! Du weißt nicht, ob du es kannst, du musst es versuchen!” Also habe ich von den Meditationsjüngern aus aller Welt vegetarische Rezepte aufgeschnappt und in ein inzwischen völlig zerfleddertes und bekleckertes dickes Rechenheft geschrieben: Für Linsen à la Bretonne braucht man demnach 250 Gramm Linsen, den Saft von einem Zitronenschnitz, Weißwein, Fett, Mehl, eine Zwiebel, Majoran, Estragon, Paprika. Man setzt einfach (diese Suppe ist echt einfach und ein günstiger Partyknaller) die Linsen kalt in Salzwasser auf und kocht sie weich. Derweil – wenn man die Linsen eine Nacht einweicht, geht es schneller – lässt man die gehackte Zwiebel in Fett dünsten, gibt Mehl, nach Wunsch auch ein wenig Milch und Tomatenketchup dazu und am Ende die Linsen. Dann nur noch, vielleicht mit einem kleinen Schuss hausgemachtem Estragonessig, abschmecken.

Das nächste Mal begegneten mir die Linsen in meiner Emanzen-Wohngemeinschaft. Wir prügelten uns nahezu um den Platz am Herd. Wenn Eva gewann, gab es manchmal Linsen mit Spätzle. Dafür setzt man 400 Gramm Linsen mit Lorbeerblättern auf und kocht sie ungefähr 45 Minuten, lässt 40 Gramm Speck aus und bräunt Mehl darin, hackt eine Zwiebel, eine Möhre und ein Stück Lauch und dünstet sie mit, gibt die Linsen zu und löscht mit Fleischbrühe und Essig ab. Man kann etwas frischen Knoblauch dazu geben, das soll die Verdauung – Sie wissen schon, das Grinsen – erleichtern und auch Rotwein statt Essig. Die Spätzle machte Eva selbst, andere nehmen welche aus der Tüte.

Weiter ging es in meinem Leben mit einem Rezept der Hexe Thea, mit dem man sich den Segen der Göttin Vesta, der Schutzpatronin für Heim und Herd, ins Haus holen kann: Dazu gart man 150 Gramm Linsen mit 400 ml Gemüsebrühe und einem Teelöffel Thymian, mischt dann in einer Schüssel drei Esslöffel Himbeer- oder Johannisbeeressig und zwei Esslöffel Öl darunter. Man brät 200 Gramm Fetakäse mit Salbeiblättchen an und lässt ihn abkühlen, mischt Zwiebel- und Tomatenwürfel und Basilikumblätter unter den Salat und richtet ihn mit dem gewürfelten Käse an.

Die Linse (Lens culinaris) gehört zur botanischen Unterfamilie der Schmetterlingsblütler innerhalb der Familie der Hülsenfrüchtler. Linsen sind eines der zuerst kultivierten Gemüse. Eintopfgerichte mit dieser Hülsenfrucht waren bereits um etwa 1700 vor Christus bekannt. Verglichen mit anderen Nahrungsmitteln waren Linsen zu allen Zeiten verhältnismäßig preiswert und demzufolge galten Linsengerichte noch im Mittelalter als „Armennahrung“. Die Lens culinaris  gedeiht am besten auf kargen sandigen Böden und wird heute in Mitteleuropa kaum noch angebaut – nur noch in kleinsten Mengen auf der Schwäbischen Alb und in Niederbayern – sondern vor allem in Spanien, Russland, Nord- und Südamerika und Vorderasien.

Linsen sind leichter verdaulich als Erbsen und Bohnen und bestehen zu mehr als einem Viertel der Trockenmasse aus Eiweiß. Daher stellen sie vor allem für Vegetarier ein wertvolles und zugleich preiswertes Nahrungsmittel dar. Daher auch der Erfolg der Linsensuppe bei den Meditierenden. Wir legten mit indischem Dal nach. Zudem enthalten Linsen sehr viel Zink, welches eine zentrale Rolle im Stoffwechsel spielt. Und sie bringen Glück, das weiß nicht nur Thea, eher eine Frau der Berge. Bei den Norddeutschen gab es zum Jahreswechsel traditionell Linsensuppe, das bedeutet Glück im neuen Jahr und stets ein gut gefülltes Portemonnaie. In Hamburg gab es zur Linsensuppe Rauchfleisch. Hamburger Rauchfleisch ist eine gepökelte und geräucherte Rindfleischspezialität. Es  war ursprünglich haltbarer Proviant für die langen Seefahrten der Hamburger Seeleute. Im 18. und 19. Jahrhundert war es aber auch an Land beliebt und weit über die Grenzen Hamburgs hinweg bekannt. Die Dichter Gotthold Ephraim Lessing und Heinrich Heine und auch der Sozialist Friedrich Engels schätzten und lobten das Hamburger Rauchfleisch. Heute gibt es bei Hamburger Schlachtern kein Rauchfleisch mehr, es ist aus der Mode gekommen – und leider kommen auch die Schlachter aus der Mode, aber das ist eine andere Geschichte…

Für die Hamburger Linsensuppe putzt und würfelt man ein Bund Suppengrün und eine Zwiebel, würfelt 100 Gramm durchwachsenen Speck, brät ihn aus und das Gemüse darin an, gibt zwei Dosen Linsen dazu (ohne Suppengrün, dies ist die flotte Variante), füllt mit Rotwein auf und schmeckt mit Tomatenketchup ab. In Holstein wirft man noch Backpflaumen hinein, in Niedersachsen Blutwurst.

Was auch immer Sie mit den Linsen tun, es möge Ihnen Gesundheit, Glück und ein gut gefülltes Portemonnaie bescheren!