Von Fischen und Treppen – Flusstiere auf Wanderschaft
Wilfried Kock kann mit Recht von sich behaupten, der letzte Fischer auf dem Hamburger Fischmarkt zu sein – auch wenn er dort vorwiegend Äpfel verkauft. Er hat uns mit auf den Kutter genommen. Die Aale, die er vor Stade aus seinen Reusen holt, haben eine Atlantiküberquerung hinter sich. Die Laichplätze des Flussaales (Anguilla anguilla) liegen in der Sargasso-See im Westatlantik, tausende Kilometer entfernt.
Die Larven sehen zuerst nicht nach Aal aus und nicht nach ihm oder nach ihr. Die anfangs millimetergroßen Tiere haben die Form eines Weidenblattes und sind durchsichtig. Sie werden vom Golfstrom erfasst und gelangen nach dreijähriger Reise an Nordafrikas und Europas Küsten. Im März erscheinen in den Flussmündungen der Nordseeküste die sogenannten Glasaale, sie sind etwa 65 Millimeter lang und farblos. Ein Teil von ihnen zieht mit Beginn der Pigmentierung, der Einfärbung, elbaufwärts. Nach vier bis zehn Jahren im Süßwasser beginnt die Umwandlung in Männchen und Weibchen und die machen sich dann irgendwann auf die Reise Richtung Sargasso-See. Werden sie daran gehindert, könnten sie in der Elbe bis zu 50 Jahre alt werden. Es sei denn, sie gehen Kock in die Reuse…
Nicht nur die Aale wandern. Die Fischaufstiegsanlage in Geesthacht hat es an den Tag gebracht: Für Millionen von Fischen – rund 50 Fischarten – ist die Elbe eine beliebte Wanderroute. Vom winzigen Stichling bis zum fetten Wels durchschwammen seit dem Bau der Geesthachter Fischtreppe 2010 mehr als zwei Millionen Fische die Becken. Diese von Biologen und Naturschützern gefeierte Massenbewegung verdanken wir indirekt dem Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg. Betreiber Vattenfall musste sich zu verschiedenen Umweltmaßnahmen verpflichten, eine davon war die 550 Meter lange Anlage für rund 20 Millionen Euro, die als größte Fischtreppe Europas gilt. Sie besteht aus 49 einzelnen Becken, jedes ist 16 Meter breit, neun Meter lang und rund 1,75 Meter tief.
Auch sehr große Fische wie der 28 Kilo schwere und 1,61 Meter lange Wels (Silurus glandis) können die Staustufe in Geesthacht durchschwimmen. Der Fisch mit dem platten Kopf und den typischen Bartfäden wird in unseren Gewässern bis zu drei Meter lang und etwa 150 Kilo schwer, bietet also jede Menge Stoff für Anglerlatein. Welse sind gefräßige Raubfische und daher nur bei Sportanglern beliebt. Der Dreistachlige Stichling (Gasterosteus aculeatus), dessen Wanderform im Frühjahr aus den Küstengewässern ins Süßwasser zieht, gehört zu den Grundeln, Grundfischen, die höchstens zehn Zentimeter lang werden. Zum Ablaichen legt das Männchen sein rotes Hochzeitskleid an und baut ein Nest aus Pflanzenfasern. Ein ganz anderes Kaliber ist der Sibirische Stör (Acipenser baerii), der in Geesthacht gesichtet worden ist. Er war wohl eher ausgewildert.
Der hiesige Europäische Stör (Acipenser sturio) gilt als ausgestorben, man könnte auch schreiben ausgerottet – durch Verunreinigung und Verbauung der Fließgewässer und schonungsloses Wegfangen während der Laichzeit. Störe brauchen lange Zeit, um die Geschlechtsreife zu erreichen, die weiblichen Tiere bis zu vierzehn Jahre. Sie können einer starken Befischung nicht standhalten, da der Bestand nicht in gleicher Geschwindigkeit nachwächst. Der Europäische Stör wird bis zu sechs Meter lang und 400 Kilo schwer und über 100 Jahre alt. 1907 wurde ein 3,05 Meter langes und 150 Kilo schweres Exemplar in der Elbe gefangen. Manche der früher hier gefangenen Störe waren sogar fünf bis sechs Meter lang. An der Elbe setzte der Rückgang Ende des 19. Jahrhunderts ein. Grund war der Bau und die Verlegung von Buhnen, was die Laichplätze des Störs vernichtete. Dabei verschwanden sowohl die für die Eiablage wichtigen Sander und Untiefen, als auch die flachen Nebenrinnen, in denen der Stör bevorzugt flussaufwärts schwamm. Eine Wiedereinbürgerung in der Elbe scheint unwahrscheinlich, schon wegen der fast vollständigen Ausrottung der Bestände in der Nordsee. Also wartet man in Geesthacht derweil auf Acipenser sturio wahrscheinlich vergeblich.
Wie der Aufstieg für die überlebenden Arten funktioniert, erklärt Wikipedia: Alle Fließgewässer-Organismen sind auf die Durchwanderbarkeit der Gewässer angewiesen. Fischwanderhilfen ermöglichen Fischen und auch Kleintieren der Gewässersohle die Überwindung von baulichen Hindernissen. Eine solche Fischtreppe ist eine wasserbauliche Einrichtung, um Fischen im Rahmen der Fischwanderung die Möglichkeit zu geben, Stauwehre oder auch Wasserfälle zu überwinden. Zu unterscheiden sind Wanderhilfen für den Fischaufstieg (Fischaufstiegshilfen und -anlagen) und für den Fischabstieg (sogenannte Bypässe). In Geesthacht haben wir eine Fischauftstiegshilfe. Beim Fischaufstieg unterscheidet man naturnahe und technische Bauweisen. Zu den naturnahen Fischaufstiegshilfen gehören vor allem sogenannte Rampen, Gleiten und Gerinne. Zu den technischen Bauweisen zählen beispielsweise Schlitzpässe, Aalbrutleitern, Fischliftanlagen oder Beckenpässe wie der in Geesthacht. Die Fische können den Höhenunterschied zwischen Ober- und Unterwasser dank der Becken überwinden. Die serpentinenartig verbundenen 45 Wasserbecken ermöglichen Wanderfischen, das Stauwehr zwischen dem Mündungsgebiet und der mittleren Elbe zu umschwimmen.
Hoffnung gibt es jetzt auch für die Wanderfische in der Alster: Die neugebauten Fischtreppen an Rathaus- und Mühlenschleuse können den Tieren die Wanderung von der Elbe in den Oberlauf der Alster vereinfachen. Da öffnet sich ein neuer „Wanderkorridor.“